Positionspapier, vorgelegt an NRC -NL am 29. April 2009 (von der Zeitungsredaktion gekürzt).
Der Tod ganzer Bienenvölker - wobei nicht nur ein paar Bienen, sondern das ganze Volk aus dem Bienenstock verschwindet - hat sich bei den niederländischen Imkern in den vergangenen sechs Jahren verdoppelt (siehe NRC, wissenschaftlicher Teil; 3. Februar 2009). Auch anderswo in Europa und in den Vereinigten Staaten ist die Zunahme der Bienenvölkerverluste alarmierend. In Teilen Chinas mussten die Obstbauern gezwungenermaßen zur Handbestäubung übergehen. Die Folgen eines weltweiten Sterbens der Bienenvölker für die Landwirtschaft und Natur können katastrophal sein. Zu Recht ist von einer drohenden weltweiten Bestäubungskrise die Rede.
Wissenschaftler haben hierfür sehr unterschiedliche Erklärungen. Der Bienenforscher aus Wageningen (Dr. Tj. Blacquière) sieht die Ursache vor allem bei den Krankheitserregern, schwerpunktmäßig bei der Varroamilbe. Spanische Wissenschaftler sehen die Gründe in dem Vormarsch eines einzelligen Parasiten: Nosema ceranae (siehe NRC, wissenschaftlicher Teil; 18. April 2009). Sind diese Krankheiten wirklich die Verursacher, oder eher die Folge von ....?
Die Biodiversitäts-Forscherin Laura Maxim, an der Université de Versailles, hat vor kurzem summa cum laude promoviert. Sie hat sich der strittigen Frage der Völkerverluste in Frankreich gewidmet. Sie hat Wissenschaftler und Imker befragt. Französische Imker haben immer wieder berichtet, dass die Zunahme von Krankheiten, wie Varroa, vor allem in Regionen auftrat, in denen das systemisch wirkende Insektizid Gaucho (Wirkstoff Imidacloprid, ein Neonicotinoid) zur Anwendung kam.
Diese neue Generation von Pflanzenschutzmitteln wird nicht auf den Acker gespritzt, sondern die Saatgutkörner werden fabrikmäßig damit getaucht. Neonicotinoide sind schon in sehr geringen Konzentrationen für Insekten giftig, jedoch für andere Arten wie Vögel oder Säugetiere weniger giftig. Nach der Einsaat wird der Wirkstoff (systemisch) von der ganzen Pflanze aufgenommen und bietet dadurch über längere Zeit Schutz gegen saugende und beißende Insekten. Aus der Sicht des Umweltschutzes erscheint diese Art des Pflanzenschutzes ideal. Es wird viel weniger Wirkstoff benötigt und dieser landet nur dort, wo er seine Wirkung entfalten soll. Leider ist er auch für die nützlichen Insekten giftig. Die wirksame Substanz landet auch in den Pollen und im Nektar. Bienen fressen Pollen und Nektar und werden auf diesem Weg dem Wirkstoff ausgesetzt.
Das für die wissenschaftliche Beratung bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in Frankreich zuständige “Comité Scientifique et Technique“ stellte 2004 fest, dass das massive Bienensterben in Frankreich von Imidacloprid mit verursacht wurde. Der Schlüssel hierfür ist in neurotoxischen Effekten (Nervengift) zu finden, bei einer nicht tödlichen (subletalen) Menge des Wirkstoffs. Ohne dass die Biene stirbt, verlieren derart exponierte Arbeiterinnen die Orientierung. Sie finden immer schwieriger den Weg zurück zum Stock. Dadurch können diese Arbeiterinnen ihre Aufgabe, das Volk mit Nahrung zu versehen, schlechter vollbringen. Es kommt zur Unterernährung (Nahrungsmangel) des Volkes und dieses wird dadurch anfälliger für Krankheiten.
Derart chronische und für das Bienenvolk kumulative Wirkungen werden von den gängigen Zulassungstests nicht erfasst. Diese beurteilen nur die akut toxische Wirkung auf die individuellen Bienen.
Nach dem Verbot des Einsatzes von Imidacloprid bei Sonnenblumen im Jahre 1999 hat es einige Jahre gedauert, bis der Varroa-Druck in den Bienenvölkern zurück ging.
Eine Erklärung für diese Verzögerung wurde erst später gefunden: Imidacloprid wird nicht so schnell im Boden abgebaut wie angegeben und die nachfolgenden Kulturen nehmen den Wirkstoff sehr effektiv auf. Es ist genau diese Eigenschaft, für die diese neue Generation von Insektiziden entwickelt wurde.
Die Hypothese, dass die Neonicotinoiden die Anfälligkeit für Varroa und sonstige Krankheiten erhöhen können, scheinen die Wissenschaftler aus Wageningen übersehen zu haben.
Nicht nur in Frankreich, sondern auch beim deutschen Bundesinstitut Julius Kühn, haben die vielen Hinweise auf eine mögliche Gefährdung der Bienen so überzeugend gewirkt, das es die massenhaften Verluste von 11.500 Bienenvölkern im Land Baden-Württemberg im Jahre 2008 auf Clothianidin zurückführte. Der Hersteller Bayer hat zwei Millionen Euro Schadenersatz an die Imker gezahlt und die deutsche Regierung hat die Zulassung aller Clothianidin enthaltenden Pflanzenschutzmittel zurückgenommen. Italien und Slowenien haben inzwischen Imidacloprid und clothianidinhaltige Pflanzenschutzmittel auch verboten. In Großbritannien hat Anfang dieses Jahres die Lebensmittelkette und Agrarfirma Co-op sämtliche Neonicotinoiden fürsorglich ausgegrenzt.
In den Niederlanden jedoch hat die Zulassungsbehörde (“College voor de Toelating van Bestrijdingsmiddelen; CTB”) die Einsatzmöglichkeiten für diese Wirkstoffe ständig erweitert. Es geht um etwa zwölf Neuzulassungen zwischen 2006 und 2009, wie zum Beispiel zur Bekämpfung von Kakerlaken in Gebäuden und Transportbehältern (Container); für Gemüsesaatgut; zur Maikäfer- und Schnakenbekämpfung; bei Apfel- und Birnenkulturen, bei den Blumenzwiebeln, im Gewächshaus bei Paprika, Tomaten, Zucchini usw.; und dort bei Zimmerpflanzen und Blumen; für Saatkartoffelanbau; zur Ameisenbekämpfung auch in Lockfallen und für Rübensaatgut.
In Frankreich, Deutschland, Italien, Slowenien und England ist maßgeblich das Vorsorgeprinzip zum Schutz der Bienenvölker angewendet worden. Das Vorsorgeprinzip ist eine der tragenden Säulen der europäischen Umweltschutzgesetzgebung: wenn substantielle Hinweise bestehen, dass eine neue Technologie oder Aktivität schwerwiegende Auswirkungen auf die Umwelt haben kann, bekommt die Umwelt Vorrang und müssen Risiko abgrenzende Maßnahmen erfolgen, auch dann, wenn die Risiken noch nicht zweifelsfrei wissenschaftlich belegt sind.
Die niederländische Zulassung von systemischen Insektiziden verstößt gegen dieses Vorsorgeprinzip. Dies könnte zur Folge haben, dass die holländische Bienenpopulation noch weiter zusammenbricht, mit potentiell schwerwiegenden Folgen für die Landwirtschaft in den Niederlanden.
Dr. Jeroen P. van der Sluijs ist “Universitäts-Dozent “ (Lehrbeauftragter) für “Neue Risiken” an der Universität Utrecht und hat eine Gastprofessur an der Universität Versailles inne.
Dr. Ir. Henk A. Tennekes ist Toxikologe und Direktor des ETS Nederland BV, Zutphen.